Tagungsbericht „Die Grüne Moschee“
Muslim*innen im Spannungsfeld zwischen Schicksal und (Eigen-) Verantwortung
20. – 21. November 2020

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Forschunsprojekt_PPT-Homepage-Gruene-Moschee-Kowanda-Yassin.pdf
Mag. Paolo Raile_Wo die Hoffnung zuhause ist–Quellen der Resilienz in Zeiten von Weltuntergangsszenarien_ Eco Anxiety.pdf
Onur_Simsek_Nachhaltigkeitsaspekte in der Moscheearchitektur.pdf
YouTube Link: Tim Winter Grüne Moschee 19Nov2020

Tagungsbericht

Die Interdisziplinäre Forschungsstelle Islam und Muslim*innen in Europa (IFIME) der Sigmund Freud PrivatUniversität veranstaltete von 20. bis 21. November 2020 eine internationale Tagung, zu der Referent*innen unterschiedlicher Disziplinen eingeladen waren, insgesamt acht Vorträge und vier Workshops wurden gehalten. Durch die Tagung begleitete als Moderation Dr.in Ursula Fatima Kowanda-Yassin von IFME.   

Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse, mit Gästen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern und aus Indonesien, Malaysien oder Südafrika. Durch den Online –Charakter der Tagung und die englische Simultanübersetzung konnten Gäste aus den unterschiedlichsten Ländern begrüßt werden, wenn auch die Zeitverschiebung für manche Teilnehmer*innen dazu führte, dass Vorträge zu sehr später Stunde stattfanden.  

Die Tagung „Die Grüne Moschee. Muslim*innen im Spannungsfeld zwischen Schicksal und Eigenverantwortung“ widmete sich der Frage des Klimaschutzes im Kontext muslimischer Gemeinschaften und damit einhergehenden Veränderungen. Von Interesse war, wie Muslim*innen mit der aktuellen Klimafrage umgehen, welche Angebote sie entwickeln, und wie sie sich im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit, von individuellen und kollektiven, von Ohnmacht und Aktivismus bewegen. Um den vielfältigen Themenstellungen, die im Zusammenhang mit Klimawandel vorkommen, gerecht zu werden, wurden Präsentationen aus einer theologischen und religions-philosophischen Perspektive, aus psychologischer sowie aus architektonischer Perspektive gehalten. Aktuelle Daten aus der Klimaforschung, Ergebnisse neuerster Forschungsprojekte zu Eco Anxiety und sowie zu Nachhaltigkeit in Moscheegemeinden wurden ebenso präsentiert wie ökologische Aspekte in Moscheebauten.  In den anschließenden vier Workshops wurden praxisnahe Themen mit den Referierenden zu Nachhaltigkeitsentwicklungen religiöser Einrichtungen,  zu ökologischen Ambiguitäten, mit denen sich Konsument*innen konfrontiert sehen, zu Umweltpädagogik in NGOs und zu zivilgesellschaftlichen Engagement diskutiert.

Im ersten Vortrag Überlegungen zu Nachhaltigkeit im Islam referierte Mag. a Amena Shakir, Leiterin der Forschungsstelle IFIME, zu theologischen Grundlagen, die im Kontext von Klimaschutz und Islam gelesen werden können, und verwies auf die Möglichkeiten wie die Notwendigkeiten, die Menschen als Verantwortungsträger*innen auf aktuelle Entwicklungen haben. Die Bezugnahme auf die eigene Spiritualität und Religion kann somit zu einem starken Motivator eines aktiven Engagements des Einsatzes für Nachhaltigkeit und Umweltschutz darstellen.

Prof. Ibrahim Özdemir, von der Uskudar Universität, Istanbul (TR), präsentierte in Act now! Muslims between Fate and (Personal) Responsibility eine Zusammenfassung seiner langjährigen Publikationstätigkeiten mit philosophischen Überlegungen zu Islam und Umwelt. Dabei konzentrierte sich Özdemir auf Verse des Korans, die im Zusammenhang mit ökologischen Fragen, etwa der Sachwalterschaft (ḫalīfah), der Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur, sowie der koranischen Aufforderung (7/56), kein Unheil auf der Erde anzurichten, nachdem sie in Ordnung gebracht worden ist, stehen. Sein Vortrag zielte vor allem darauf ab, Muslim*innen durch religiöse Grundsätze die Verantwortung im Umweltdiskurs bewusst zu machen.  

Prof. Fachruddin Mangunjaya, MSi, Zentrum für Islamforschung an der UNAS-Universität in Jakarta (IDN),  sprach in seinem Vortrag Sustainable Indonesian Mosques über Nachhaltigkeitskonzepte in indonesischen Moscheen und über die Arbeit mit Imamen, die als Multiplikatori*innen in Moscheegemeinden wichtige Ansprechpartner*innen für die Umsetzung neuer Konzepte sind und präsentierte für diesen Zweck entwickelte Bücher und Schulungen. Weiters stellte Mangungjaya in einem anschaulichen Video eine indonesische Öko-Moschee vor, die beispielsweise mit Biogas heizt und das Abwasser der Waschräume durch einen Recyclingprozess wiederverwendet.

Prof.in Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin und Leiterin des Zentrums für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der Universität BOKU, eröffnete mit ihrem Vortrag Tauziehen um die Zukunft- Klimaschutz als Spielball der Giganten den zweiten Veranstaltungstag und führte aus, wie sich die Klimasituation derzeit darstellt. Kromp-Kolb betonte, dass politische Entscheidungen-  wie etwa das Pariser Klimaabkommen-  nur zu erreichen sind, wenn rasch und konsequent gehandelt würde. Weiter unterstrich Kromp-Kolb, dass es ein Zusammenspiel von Wirtschaft und Ökologen, von Politik und Wissenschaft brauche, aber auch, dass jede einzelne Person gefragt sei, zu handeln. Nur so – und mit einem sachlich-realistischem und optimistischen Blick in die Zukunft – sei die Klimakrise noch in den Griff zu bekommen.

Auf eine historische Reise durch die Moscheen der Welt wurden die Teilnehmenden von Prof. Dr. Onur Simsek, Vizedekan der Fakultät für Architektur und Design der Fatih Sultan Mehmet Vakif Universität in Istanbul, in dem Vortrag Nachhaltigkeitsaspekte in der Moscheearchitektur mitgenommen. Simsek stellte mit einer bildreichen Präsentation unterschiedliche ökologische Aspekte in Moscheebauten vor. Windtürme, die das Innere der Gebetsräume kühlen, tiefer gelegene kühlende Innenhöfe und in Fassaden integrierte Vogelhäuser sind nur einige Aspekte, die seit Jahrhunderten in Moscheen weltweit zu finden sind. Mit aktuellsten Entwürfen, wie etwa Fenster, die den Blick für Betrachter zu Bäumen und Pflanzen eröffnen oder in Deckbauten Licht einzulassen, werden neue Wege gesucht, Moscheen ökologisch und ästhetisch ansprechend zu gestalten.

Aktuellste Forschungsergebnisse präsentierte Dr.in Ursula Fatima Kowanda-Yassin, Post Doctoral Researcher von IFIME in ihre Referat Die Grüne Moschee – Perspektiven für die Zukunft? In einer Triangulation von qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden wurden Personal und Besucher*innen des Islamischen Zentrums in Wien zu Umweltbewusstsein und Konzepten befragt. Zentrale Themenstellungen, die bei der Gestaltung von ökologischen Konzepten sichtbar wurden – wie Bewusstseinsarbeit oder die Entwicklung eines Mülltrennkonzeptes – wurden skizziert. Weitere umweltpädagogische Aspekte, die in das Moscheearbeit integriert sind, wurden durch das Projekt sichtbar und notwendige Anpassungen, wie etwa die Notwendigkeit von Informationskampagnen für die erfolgreiche Umsetzung von neuen Maßnahmen, wurden verdeutlicht.

Der Psychotherapeut Mag. Paolo Raile, MSc, vom Institut für psychoanalytisch-ethnologische Katastrophenforschung der SFU, präsentierte in seinem Beitrag Wo die Hoffnung zuhause ist – Quellen der Resilienz in Zeiten von Weltuntergangsszenarien Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu Eco Anxiety. Mit quantitativen und qualitativen Methoden sowie einer diskursanalytischen Untersuchung von Facebookeinträgen wurden Zukunftsängste untersucht und dabei vier Personengruppen (Prepper, Leugner, Aktivisten und Supporter) mit ihren  unterschiedlichen Angst-Bewältigungsstrategien kategorisiert. Die Forschung zeigte, dass das Gefühl Hoffnung, der Glaube an Veränderung und das Aktiv-Sein einen starken angstlindernden Effekt auf Menschen mit Angst vor dem Klimawandel haben.

Über ein bislang einzigartiges Projekt im europäischen Raum berichtete der Leiter der Islamischen Studien am Cambridge Muslim College (GB), Dr. Timothy Winter in seinem Vortrag Europe´s First Eco-Mosque – The Cambridge Central Mosque.  Winter war die treibende Kraft der im Jahr 2019 fertiggestellten Eco-Mosque von Cambridge, die symbolische und praktische Fragen der Identität, Integration und theologischen Ausrichtung vereint. Bei dem Bau wurde darauf Wert gelegt, die Moschee in einem symbiotischen Charakter von britischen und islamischen Konzepten zu gestalten. Außerordentlich war Winters Anliegen, in der Architektur der Berührung des Transzendentalen mit der Welt – die Begegnung von Himmel und Erde während dem Gebet von Gläubigen – Ausdruck zu verleihen. In der anschließenden Diskussion wurde offensichtlich, dass Muslim*innen in Cambridge bei der Umsetzung dieses Projektes als Teil der örtlichen Gemeinde auf gute Zusammenarbeit mit den hiesigen Behörden, sowie auf ausgezeichnete Nachbarschaftsbeziehungen zurückgreifen konnten, und so dieses neues Modell für weitere Öko-Moschee verwirklicht werden konnte.

Die am Samstagnachmittag gehaltenen Workshops  fanden parallel statt. Um einen mehrperspektivischen Zugang  zu ermöglichen referierten pro Workshop 2 Vortragende, anschließend erfolgte eine Diskussion mit den Teilnehmer*innen. Das Online-Format erwies sich als vielseitig nutzbar, die Teilnehmenden konnten in unterschiedlichen virtuellen Räumen den Referaten folgen. Dennoch machten sich die Nachteile einer Online-Veranstaltung erkennbar, denn ein wirklich lebhafter Charakter eines Workshops mit spontan aufeinander eingehenden Wortmeldungen von  Diskutant*innen ist einem virtuellem Raum nur begrenzt möglich.

Welche Nachhaltigkeitsentwicklungen an religiösen Einrichtungen stattfinden, diskutierten Baraa Abu El-Khair, MSc von NourEnergy e.V., – einem Verein, der die Installierung von Photovoltaikanlagen unterstützt- , und Enis Buzar, BSc, M.A., Umweltbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich im Workshop Religionen begrünen – Auftrag zu Nachhaltigkeitsentwicklung religiöser Einrichtungen. Es wurde den Fragen nachgegangen, welchen Beitrag Moscheen leisten können, um der zunehmenden Umweltkrise entgegen zu treten und welche Empfehlungen sich anbieten, um durch lokales Handeln eine positive globale Entwicklung in der modernen vernetzten  Welt  begünstigen.

Zu ökologischen Ambiguitäten referierten Isabel Schatzschneider, M.A., von der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und Thomas Weber, Herausgeber von Biorama in dem Workshop Ökologische Ambiguitäten. Die Wahl ist eine Qual. Wachsende Ansprüche muslimischer Konsument*innen an die Halal-Fleischproduktion und aufwändige Biozertifizierungen zeigen die komplexe Lage am Fleischmarkt für Muslim*innen. Bio-Zertifikate sind dabei nicht immer eine Hilfestellung, da sie aufgrund ihrer großen Bandbreite unterschiedlicher Kriterien bewerten und dies eine Überblick erschwert. Trotz verstärkter Nachfrage nach biologischen Halal- Produkten gibt es kaum Angebot am Markt, aus diesem Grund entscheiden sich immer öfter Muslim*innen dazu, auf den Verzehr von Fleisch zu verzichten.

Der dritte auf Workshop „Was Hänschen nicht lernt…“ Environmental Education in NGOs and Youth Work -, der von Rudy van der Aar, B.AS von DeenTravellers (NL) und Mark Bryant, M.A., Universität Cardiff und Leiter von IFEES (GB) – auf Englisch gehalten wurde, thematisierte die Bedeutung von Umweltpädagogik für die Bewusstseinsarbeit. Es wurde diskutiert, wie Muslim*innen sich durch Umweltaktivismus in der Gesellschaft beteiligen können und welche Wirkung dies auf ihr Zugehörigkeitsgefühl und diskriminierende gesellschaftliche Vorurteile haben kann.

Ilhaam El-Qasem, M.A., vom deutschen muslimischen Umweltverein Hima e.V. und Anna Lindorfer, DI, von Fridays for Future Austria, brachten die Perspektive des zivilgesellschaftlichen Engagements und die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen zur Sprache. Was braucht es, um eine bedeutsame Bewegung nicht nur zu starten, sondern nachhaltig am Leben zu erhalten? Braucht es immer einen Fackelträger, der die Leidenschaft für die Sache entfacht und die anderen anführt? Diese Themen, die alle Grassroots-Bewegungen betreffen, wurden im Zusammenhang mit der Bewegung Fridays for Future diskutiert und überlegt, wie ehrenamtliches Umweltengagement bestmöglich nachhaltig wirken kann.

In einem Abschlussplenum wurden die Ergebnisse des Nachmittags von den Referierenden vorgestellt und offene Fragen der Workshops diskutiert. Insgesamt wurde festgestellt, dass das Thema spannend und aktuell bleibt; die unterschiedlichen Fragestellungen verdeutlichten, dass es sich hier um ein existenzielles, globales und verbindendes Thema  handelt, das weitere Forschungen, viel Engagement und Vernetzung erfordert.

Interdisziplinäre Forschungsstelle
Islam und Muslim*innen in Europa (IFIME)
E-Mail: ifime@sfu.ac.at
Webseite: https://sfu.ac.at/ifime

Sigmund Freud Privatuniversität Wien (SFU)
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