Die Interdisziplinäre Forschungsstelle Islam und Muslim*innen in  Europa (IFIME) an der Sigmund Freud PrivatUniversität veranstaltete am 26.11.2022 ihre Jahrestagung unter dem Motto:

„Europas Musliminnen! Musliminnen Europas?“.

Musliminnen nehmen in Medien, Politik und Legislative einen prominenten Platz ein. Die Erforschung des Umgangs mit der muslimischen Bekleidung in Europa macht Diskurse zu Disziplinierungen des weiblichen Körpers sichtbar. Trotz der Omnipräsenz bzw. wegen stereotypen Homogenisierungen sind Innenperspektiven muslimischer Frauen unterbeleuchtet. Die akademische Reflexion der Marginalisierung muslimischer Frauen erfordert einen interdisziplinären Zugang, der im Rahmen dieser Tagung erfolgen kann. Die multiperspektivische, wissenschaftliche Auseinandersetzung muslimisch-weiblicher Lebensrealitäten erweitert herkömmliche Sichtweisen und Lesarten.

Die Tagung beschäftigte sich mit islamischen Feminismustheorien sowie verschiedenen Sprechpositionen von und über Musliminnen: Wer beansprucht Deutungshoheit und welche diskursiven Interventionen werden wo und wie vorgenommen? Zu welchen Folgen führen sie? Wie kann ein konstruktiver und produktiver Umgang mit Marginalisierungen gestaltet und alternative Handlungsperspektiven aufgezeigt werden?

Weiters wurden theologische Verortungen in Bezug auf weibliche Exegese und historische weibliche Wissensproduktion in Vergangenheit und Gegenwart untersucht und vorgestellt.
Programm (pdf)

Highlight- Video zur Tagung:

Keynote: Prof.in Asma Barlas

Asma Barlas ist emeritierte Professorin für Politik am Ithaca College, New York, wo sie auch das Center for the Study of Culture, Race, and Ethnicity gegründet hat. Sie hat hauptsächlich über eine befreiende Hermeneutik des Korans, westliche Einstellungen zum Islam und das Erbe des britischen Kolonialismus in Südasien geschrieben (Believing Women in Islam: Unreading Patriarchal Interpretations of the Qur’an [2019; 2002], Believing Women: A Brief Introduction [mit David Finn; 2019]; Re-understanding Islam: A Double Critique [2008]; und Democracy, Nationalism and Communalism…in South Asia [1995]). Sie hat einen Doktortitel (mit Auszeichnung) in Internationalen Studien (University of Denver), einen Master in Journalismus (University of the Punjab, Pakistan) und einen Bachelor in Englischer Literatur und Philosophie (Kinnaird College, Pakistan).  Barlas war die erste Muslimin, die den Spinoza-Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Amsterdam innehatte (2008), und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter von der American Association of University Women und den Vereinten Nationen. Geboren und aufgewachsen ist sie in Pakistan, wo sie als eine der ersten Frauen in den Auswärtigen Dienst eintrat. Im Jahr 1983 zog sie in die USA, wo sie auch politisches Asyl erhielt. http://faculty.ithaca.edu/abarlas/.
Kontakt: abarlas@ithaca.edu

Audio Track : Muslim Women in Europe: Living In/between Worlds

Prof. in Asma Barlas

Prof. in Asma Barlas eröffnete mit ihrer Online – Keynote die Tagung. Sie reflektiere über das Leben muslimischer Frauen in muslimischen und nicht-muslimischen Gesellschaften. Sie spannte den Bogen zwischen Gottesdienst und Patriarchat: In muslimischen Gesellschaften postuliert Barlas sind Musliminnen gefangen zwischen dem Dienst am Mann und dem Dienst an Gott, da religiöses Wissen und Autorität von patriarchalischen Ideologien der männlichen Vorherrschaft durchdrungen sind. In den nicht-muslimischen europäischen Gesellschaften wären sie gefangen zwischen den Erwartungen ihrer eigenen Gemeinschaften und denen, die von einer säkularen Antipathie gegenüber dem Islam und den kulturellen Prämissen der weißen Vorherrschaft geprägt sind.

Plenarvortrag I:  Mag.a Amena Shakir

Amena Shakir ist Theologin, Religionspädagogin und Schulbuchautorin. Sie studierte Germanistik, Erziehungswissenschaften, Semitistik und islamische Theologie sowie Politikwissenschaften.

Seit über 30 Jahren ist sie in verschiedensten Kontexten in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig, ein Jahrzehnt davon im Bereich der Ausbildung islamischer Religionslehrer*innen. Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen in Forschungen zu Muslim*innen in Europa, zur Thematik der Frau im Islam, insbesondere in der Koranexegese (Tafsīr) sowie zu Chancen und Herausforderungen des interreligiösen Dialogs.

Seit 2018 leitet sie die Interdisziplinäre Forschungsstelle Islam und Muslim*innen an der Sigmund Freud PrivatUniversität (IFIME; https://www.sfu.ac.at/de/ueber-sfu/forschungsstelle-ifime/), die innovative interdisziplinäre Forschungsprojekte durchführt und deren Ergebnisse in Form von Ringvorlesungen, Seminaren und Konferenzen der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Kontakt: Amena.shakir@sfu.ac.at

Audio Track :  Frauenmuster – Musterfrauen. Akzentsetzungen weiblicher Koranexegese

Mag.a Amena Shakir

Der Vortrag von Mag.a Amena Shakir beschäftigte sich mit Frauenmustern in der Koranexegese und den Vorstellungen von Frausein, die darauf gründen. Dabei wurde ein Akzent auf weibliche Koranexegese(n) gesetzt und dargelegt, inwiefern Unterschiede zu männlichen Lesungen festzustellen sind und wie diese begründet werden können. Im Fokus standen anschließend Frauenpersönlichkeiten, die im Koran implizit und explizit als Vorbilder für die gesamte Menschheit, für Frauen und Männer, bezeichnet werden. Es wurde näher betrachtet, welches Menschenbild dieser Konzeption von Musterfrauen zugrunde liegt.

Plenarvortrag II: Prof.in Dr.in Iman Attia

Iman Attia, promovierte Erziehungswissenschaftlerin, Professorin an der Alice Salomon Hochschule für angewandte Wissenschaften Berlin, Critical Race Studies und Memory Studies.
Kontakt: attia@ash-berlin.eu

Track: Sehen, ohne gesehen zu werden. Muslimische Antworten auf westliche Kopftuchmonologe

Dr.in Iman Attia

Dr.in Iman Attia hilet einen Vortrag zu ›Kopftuchdebatten‹ sind Monologe. Sie zeigte auf, inwiefern diese Monologe muslimische Frauen taxieren und kommentieren, sowie in ihr Leben eingreifen und bevormunden. Im ihrem Beitrag wurde diese Blickrichtung umgekehrt: Wie wurden in Geschichte und Gegenwart westliche Kopftuchmonologe aus muslimischen Perspektiven analysiert und beantwortet? Bedeckte muslimische Frauen sehen, ohne gesehen zu werden. Im Vortrag wurde anschaulich dargelegt, welche Folgen das koloniale Gefüge hatte.

Plenarvortrag III: Mag. Ozan Zakariya Keskinkılıç

Ozan Zakariya Keskinkılıç ist Politikwissenschaftler und freier Autor. Er forscht, lehrt und publiziert u.a. zu (antimuslimischer) Rassismus, Antisemitismus, Orientalismus sowie Subjektivierung, Erinnerung und widerständige Kunstproduktion. 2021 wurde er als Mitglied der Expert*innenkommission gegen antimuslimischen Rassismus in Berlin berufen. Sein jüngstes Buch „Muslimaniac. Die Karriere eines Feindbildes“ erschien in der Edition Körber. Aktuell promoviert Keskinkilic an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Kontakt: keskinkilic@hu-berlin.de

Zurückgeschrieben. Potentiale und Ambivalenzen biografisch-literarischer Interventionen in das Fremdbild „der orientalischen/muslimischen Frau“

Mag. Ozan Zakariya Keskinkılıç

In seinem Vortrag befragt Mag. Ozan Zakariya Keskinkılıç das Potential und die Ambivalenzen biografisch-literarischer Interventionen in eurozentrische Geschichtsdeutungen und kolonial-orientalistische Wissensproduktionen über „den“ Islam und das Fremdbild „der orientalischen/muslimischen Frau“. Er diskutierte verschiedene Fallbeispiele historischer und zeitgenössischer Schreibkünste in der Literatur und Lyrik arabischer bzw. muslimischer Frauen in Deutschland, Großbritannien und den USA, und rekonstruierte muslimisch-feministische (Rück)Blicke auf Sexismus, Rassismus, Religion und Kultur sowie widerständige und ambivalente Subjektpositionen.

Panel: Othering, Folgen der Marginalisierung sowie mögliche Handlungsperspektiven

Moderation: Dr.in Lise J. Abid, Journalistin, Islamwissenschaflterin

Panelistin: Kübra Gümüşay

Kübra Gümüşay ist Autorin des Bestsellers »Sprache & Sein«, sowie Initiatorin zahlreicher Kampagnen und Vereine – u.a. des feministischen Co-Creation Spaces eeden in Hamburg, das 2019 von der Bundesregierung als »Kultur- und Kreativpiloten Deutschlands« ausgezeichnet wurde, der feministischen Research- und Advocacy-Organisation future_s oder des feministischen Bündnisses #ausnahmslos, das 2016 mit den Clara Zetkin Frauenpreis ausgezeichnet wurde. Ihr Blog ein-fremdwoerterbuch.com wurde 2011 für den Grimme Online Award nominiert. Das Magazin Forbes zählte sie 2018 zu den Top 30 unter 30 in Europa. 2021 war sie Stipendiatin der Deutschen Kulturstiftung Tarabya. 2022/3 ist sie Senior Fellow der Mercator Stiftung und befasst sich am Centre for Research for Research in Arts, Humanities and Social Sciences (CRASSH), am Leverhulme Centre for the Future of Intelligence, sowie als Visiting Fellow des Jesus College an der University of Cambridge mit alternativen Zukünften und realen Utopien.
Kontakt: office@guemuesay.com

Panelistin: Dr. Ariane Sadjed

Ariane Sadjed hat in Wien ein Psychologie Studium abgeschlossen und an der Humboldt Universität in Berlin im Fachbereich Kulturwissenschaften promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: moderne iranische Gesellschaft und Kultur, jüdische Geschichte im persischsprachigen Raum (Iran, Afghanistan, Zentralasien), Religion und Moderne, Diaspora und kulturelles Gedächtnis. Derzeit leitet sie zwei Forschungsprojekte, eines zur modernen Geschichte iranischer Juden und eines zu den Beziehungen zwischen jüdischen und muslimischen Minderheiten in Wien. Ihre Publikationen beinhalten eine Monografie zu Konsumkultur im Iran, eine Herausgeberschaft zu Diaspora communities in vergleichender Perspektive sowie mehrere Artikel und Buchbeiträge zum Thema Konversion, iranisch-jüdische Diaspora und traditionelle Handelsnetzwerke von Juden im persischsprachigen Raum.
Kontakt: ariane.sadjed@oeaw.ac.at

Panelistin: Mag.a Asiye Sel

Studium der Soziologie in Wien, seit 1991 Arbeit im Bereich Migration und Integration: Integrationsarbeit an Schulen und in AMS Kursen. Arbeitsmarktpolitische Beratung, Leitung und Durchführung diverser EU Projekte zu Gleichbehandlung und Antidiskriminierung sowie zur Anerkennung von Qualifikationen im Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen. Seit 2008 als Referentin in der Frauenabteilung der AK Wien mit Schwerpunkten Arbeitsmarktpolitik für Frauen, Gleichbehandlung, Antidiskriminierung, Migrations-, Integrations- und Diversitätspolitik und Gender.
Kontakt: asiye.sel@akwien.at

Mitautorin von Publikationen:

„Gleichbehandlungs-Antidiskriminierungs-Materialien-Sammlung“; „Join In a Job“; „Ampel. Leitfaden. Bildung anerkennen“; „50 Jahre türkische GAST(?) ARBEIT in Österreich“. „Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften: Zur Repräsentation von Frauen in Werbung, Medien und Sport“.

Inhaltliche Beteiligung und Koordinierung von Studien: Beschäftigungssituation von Personen mit Migrationshintergrund in Wien

Panelistin: Dr.in Amani Abuzahra

Mag.a Dr.in Amani Abuzahra, M.A. ist promovierte Philosophin. Sie forscht als Post Doc an der Interdisziplinären Forschungsstelle Islam und Muslim*innen in Europa (IFIME). Darüber hinaus arbeitet sie als Public Speakerin und Trainerin in der Erwachsenenbildung zu muslimischen Lebenswelten, intersektionalem Feminismus, rassismuskritischer Bildung in Bildungseinrichtungen, an Universitäten und auf Konferenzen und äußerst sich dazu auch in Presse, Radio & TV. Sie lehrte mehr als acht Jahre Philosophie sowie Interkulturelle Pädagogik am Studiengang für das Lehramt für islamische Religion an Pflichtschulen sowie an der Kirchlich Pädagogischen Hochschule Wien-Krems, weiters in der Fortbildung von Lehrer*innen zu Interkultureller Öffnung und Umgang mit Diversität im Klassenzimmer. In ihrer Doktorarbeit der Philosophie an der Universität Wien analysierte sie die österreichischen Islamgesetze von 1912 und 2015 im Kontext von Toleranz- und Rechtsphilosophie sowie in Bezug zum Grenzorientalismus.
Kontakt: amani.abuzahra@sfu.ac.at

Graphic Recording 

Esma Bosnjakovic
Illustratorin: Strudelworte
Kontakt: hello@strudelworte.com

1_graphic record_barlas (pdf)
2_graphic record_shakir (pdf)
3_graphic record_attia (pdf)
4_graphic record_keskinkilic (pdf)
5_graphic record_panel (pdf)

 Moderation der Tagung:

Mag.a Kevser Muratovic ist promovierende Bildungshistorikerin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind historisch- vergleichende Bildungsforschung, Bildung und Erziehung in imperialen und nationalen Kontexten sowie Bildungstransfer und epistemologischer Imperialismus.
Kontakt: kevser.muratovic@univie.ac.at

Radiobeitrag auf Ö1

Link zum Radiobeitrag (Ö1)
Fremd- und Eigenbilder von Musliminnen standen vor kurzem im Mittelpunkt einer Tagung an der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien. Denn Lebenswelten und Einstellungen muslimischer Frauen – vor allem jener, die durch ihre Kleidung als solche erkennbar sind – werden häufig zum Forschungsgegenstand, während die Thematik aus ihrer Perspektive eher unterbelichtet ist. Die Politik- und Islamwissenschaftlerin Asma Barlas ist als muslimische Feministin bekannt, doch sie selbst lehnt diese Bezeichnung ab, weil Feminismus in muslimischen Gesellschaften noch immer mit kolonialen und westlich-kulturellen Einflüssen in Zusammenhang gebracht und häufig abgelehnt werde. Die Erziehungswissenschaftlerin Iman Attia, Professorin an der Alice Salomon-Hochschule in Berlin beschäftigt sich mit dem umstrittenen Begriff des „anti-muslimischen Rassismus“ und die deutsch-türkische Journalistin, Bloggerin und Politikwissenschaftlerin Kübra Gümüsay findet es wichtig, dass Muslim:innen selbst daran arbeiten, gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden: „Oft wird so getan, man kann entweder nur den Islam verteidigen oder nur den Islam problematisieren.“
Gestaltung: Lise Abid
– Sigmund Freud PrivatUniversität Wien: Interdisziplinäre Forschungsstelle Islam und Muslim*innen in Europa
– Ithaca College: Asma Barlas
– ASH Berlin: Iman Attia
– Kübra Gümüsay
– ÖAW: Ariane Sadjed

Fotos zur Tagung (© Alisa Kulic)