Psychosomatik – Wenn der Körper für die Seele spricht, 1-2/2024, 102-118.
Abstract
Lust und Sexualität beruhen auf entwicklungsgeschichtlich alten, subkortikalen Gehirnstrukturen. Gemeinsam mit Spieltrieb, Bindung, Angst, Trauer und Ärger bilden sie das Fundament unseres Soziallebens. Diese primären Motivationssysteme werden durch Kultur und Erziehung im Verlauf des Lebens modifiziert. Doch Anpassung hemmt und unterdrückt Lust und führt zu zahlreichen sexuellen Störungen.
Die zentralen sexualtherapeutischen Fragen sind: Welche der primären Emotionen sind nicht ausbalanciert? Und wie lässt sich dies ändern? Anhand des Gedichts »Erklär mir, Liebe« von Ingeborg Bachmann möchte ich aufzeigen, wie menschliches Begehren zwischen animalischer Begierde und idealisierender Erotik oszilliert. Poetisch integriert sie Erkenntnisse der affektiven Neurowissenschaft in dieses Gedicht und bringt die Dichotomie von Lust und Nachdenken unter einen Hut, der sich im entscheidenden Moment lüftet.