Im Wintersemester 2023/24 veranstaltet die SFU standort- und fächerübergreifend eine öffentlich zugängliche Online Ringvorlesung mit namhaften Expert*innen. In den Fachvorträgen zur Diversitätssensitiven Psychotherapie sollen Grundlagen erörtert werden, ein Forschungsstand erhoben werden und Interventionen und Spezifika für die psychotherapeutische Praxis abgeleitet werden.

Diversitätssensitive Psychotherapie bezieht sich auf einen methodenübergreifenden Ansatz in der Psychotherapiewissenschaft, der die Bedeutung der kulturellen Vielfalt und der Unterschiede in der Identität und Erfahrung der Patient*innen anerkennt und diese in den psychotherapeutischen Prozess einbezieht.

Dabei wird berücksichtigt, dass Menschen aufgrund ihrer kulturellen Zugehörigkeit, ethnischen Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven haben, die ihre psychischen Gesundheit beeinflussen können. Dementsprechend zielt eine diversitätssensible Psychotherapie darauf ab, den spezifischen Bedürfnissen und Erfahrungen der Patient*innen gerecht zu werden, um eine erfolgreiche Behandlung zu ermöglichen.

Der fachliche Diskurs innerhalb der Klinischen Psychologie und Psychotherapie soll dabei unterstützen, Vorurteile, Ressentiments und kulturelle Vorannahmen, die sich auf die psychotherapeutische Beziehung und Allianz auswirken können, zu erkennen und anzusprechen. Im besten Fall soll ein Beitrag geleistet werden, um sicherzustellen, dass die psychotherapeutische Versorgung und fachgerechte Behandlung für *alle* zugänglich, wirksam und relevant werden.

Eine Anmeldung zu den Online Vorträgen (jeweils MI 17:30 Uhr) ist nicht erforderlich, der Zoom Direktlink wird rechtzeitig hier zu Verfügung gestellt.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Abstract

Menschen, die in Psychotherapien Unterstützung suchen, kommen nicht nur mit einer individuellen konflikthaften Familien- oder Traumageschichte in Behandlung, sondern auch mit einer individuellen und konflikthaften Geschichte, die auf sozialen Hierarchien, Erfahrungen mit Klasse, Sexismus, Homo- und Transphobie, Rassismus, Ableismus oder Antisemitismus beruht. Gesellschaftliche Hierarchien, Machtstrukturen und Normen können im Unbewussten ebenso wie Triebkonflikte oder Objektbeziehungsproblematiken wirken. Zum psychoanalytischen Credo Unbewusstes bewusst zu machen, gehört damit, meiner Auffassung nach auch, die Wirkungsweisen von gesellschaftlichen Hierarchien, Normen und Machtstrukturen bewusst zu machen, da wo sie aufgespürt werden können, denn auch daran knüpft sich häufig ein Leidensdruck. Dabei ist gilt es jedoch auch die psychische Realität nicht aus den Augen zu verlieren und gesellschaftliche Machtwirkungen nicht jenseits der individuellen, unbewussten Verarbeitungsmechanismen und der Triebkonflikte bzw. Objektbeziehungsproblematiken zu verstehen, an die sie sich mitunter binden.

Im Vortrag möchte ich aus einer klinischen Perspektive gesellschaftlichen Machtstrukturen und ihrer Wirkung auf das Unbewusste nachgehen und exemplarisch herausarbeiten, wie sie im klinisch-psychoanalytischen Setting in Erscheinung treten können. Darüber hinaus möchte ich das in der Psychoanalyse bisher vernachlässigte Konzept der Intersektionalität aufgreifen und danach fragen, inwieweit es für die Psychoanalyse produktiv gemacht werden könnte. Dabei verstehe ich Intersektionalität in einem doppelten Sinne: ich möchte damit nicht nur das Überschneidungsfeld verschiedener Diskriminierungsformen bezeichnen, sondern auch das Überschneidungsfeld zwischen Psyche und Gesellschaft im Allgemeinen und damit die Intersektionalität verschiedener gesellschaftlicher Hierarchien in ihrer Wirkung auf Subjektwerdung und Unbewusstes in den Blick nehmen. Die Psychoanalyse wird somit auch in ihrer klinischen Anwendung als kritische Theorie der sozialen Ungleichheit verstanden.

Esther Hutfless, geboren 1980, ist Philosoph*in, freie Wissenschaftler*in und Psychoanalytiker*in in Wien. Sie ist Mitglied des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Sie lehrt an der Universität Wien, der Sigmund Freud Privatuniversität Linz und der Wiener Psychoanalytischen Akademie. Ihre* Forschungsfelder beinhalten: Poststrukturalismus, Dekonstruktion, queere und feministische Philosophie, Psychoanalyse, Queer Theory und psychoanalytische Gesellschaftstheorien.

 

Publikationen (Auswahl):
Von Identität zu Differenz zu Alterität. Jean Laplanche und das Denken nicht-normativer Geschlechtlichkeit in der Psychoanalyse. Kinderanalyse. Psychoanalyse im Kindes- und Jugendalter und ihre Anwendungen. 30. Jahrgang, 1, 2022, 4-27.
Of Traces, Translations and Deconstruction. Reading Laplanche with Derrida. In: The Undecidable Unconscious, Volume 8/2021, University of Nebraska Press. 1-27.
Gemeinsam mit Barbara Zach (Hg.) (2017): Queering Psychoanalysis. Psychoanalyse und Queer Theory – Transdisziplinäre Verschränkungen. Wien: Zaglossus.
Gemeinsam mit Gertrude Postl, Elisabeth Schäfer (Hg.) (2013): Hélène Cixous: Das Lachen der Medusa. Zusammen mit aktuellen Beiträgen. Wien: Passagen.

 

 Vergange Vorträge:

MI 20. Dezember 2023
Dipl.-Psych.in SABINE MAUR
Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen: Praxis und Ethik
Moderation: Ass.-Prof.in Dr.in Rebecca Kiegl (PTW Berlin)

Abstract

Die fachliche Unterstützung von gender-nonkonformen und trans Kindern und Jugendlichen und ihren Familien erfordert neben der fachlichen Expertise und einer queer-sensiblen Haltung spezifische Kenntnisse der Rahmenbedingungen für Psychotherapie, insb. im Hinblick auf die Frage nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Hier stellen sich auch wichtige berufsethische Fragen. Hinzu kommt eine gesellschaftlich zunehmend rücksichtslos und menschenfeindlich geführte Debatte, die auch von uns Psychotherapeut*innen reflektiert werden sollte.

Sabine Maur, Psychologische Psychotherapeutin, niedergelassen in Mainz mit einem Versorgungsauftrag für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Vize-Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer. Vertritt die BPtK in der S3-Leitlinie Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter.

MI 22. November 2023
Dr.in med. AMMA YEBOAH
Rassismus, rassistische Diskriminierung & (Psychische) Gesundheit
Moderation: em. Prof. Dr. Norbert Finzsch (PTW Berlin)

Abstract

Rassismus und rassistische Diskriminierung beinhalten strukturelle, kulturelle, interpersonelle und individuelle Aspekte, die sich historisch und kontextuell verändern. Rassistisches Handeln, sowie rassistische Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen sind u.a. die wichtigsten Determinanten von gesundheitlichen Ungleichheiten in der Bevölkerung. Internationale Studien der vergangenen 30 Jahren belegen, dass rassistische Diskriminierung eine unabhängige Einflussgröße für die psychische und physische Gesundheit darstellt. Insbesondere die psychische Gesundheit wird durch rassistische Diskriminierung erheblich beeinträchtigt.
Im Beitrag werden die Folgen rassistischer Diskriminierung bei der Gesundheitsversorgung dargestellt und die Zuhörerschaft wird eingeladen, Lösungsstrategien zur Überwindung von Rassismus für den Standort Deutschland mitzudiskutieren.

Dr. med. Amma Yeboah ist Psychodynamische Supervisorin und Fachärztin für Psychiatrie & Psychotherapie mit dem Schwerpunkt gendersensible, psychiatrisch psychotherapeutische Versorgung. Als Dozentin fokussiert sie intersektionale Perspektiven in der Medizin und Psychotherapie.

 

 

Literaturhinweise:
Kluge, Ulrike et al (2020): Rassismus und psychische Gesundheit. Der Nervenarzt vol. 91,11: 1017-1024.
Williams, David R et al (2019): Racism and health: evidence and needed research. In: Annual review of public health, 40, 105-125.
Yeboah, Amma (2017): Rassismus und psychische Gesundheit in Deutschland. In: Rassismuskritik und Widerstandsformen. S. 143-161. Springer VS, Wiesbaden.
Yeboah, Amma (2021): Gesundheitsfolgen rassistischer Diskriminierung. In: Sieberer, Jung & Führmann (Hrsg.) Migration und Gesundheit, S. 37-42. ELSEVIER-Essentials. Elsevier, München.

MI 18. Oktober 2023
Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in DOROTHEA OBEREGEGELSBACHER
Psychotherapie bei intellektueller Beeinträchtigung
Moderation: Mag. Herbert Geyer (PTW Wien)

Abstract

„Das Unbewusste ist nicht behindert“ – auch nicht bei intellektueller Beeinträchtigung bis hin zur Sprachlosigkeit. Welche Annahmen ermöglichen es (psychodynamisch arbeitenden) Psychotherapeut_innen, insbesondere mit dem Rüstzeug der Individualpsychologie, die je einzigartigen Störungsbilder zu verstehen (Diagnostik), Hypothesen für einen Behandlungsansatz zu wagen (Ziele/ Prognose), ein geeignetes Setting samt „Sprache“, Interventions- und Interpretationstechnik zu wählen?
Die Referentin gibt Theorieinputs, stellt Vorgangsweisen und Techniken zur Beziehungsanbahnung am Beispiel von Fallvignetten bzw. Therapieverläufen vor.
Ein Blick in die Versorgungslandschaft zeigt, dass es kaum Behandlungsplätze und so gut wie keine Ausbildungsangebote rund um Psychotherapie bei Personen mit intellektueller Beeinträchtigung und eingeschränkter Verbalität gibt. Ausgehend von dieser Tatsache werden mögliche Ursachen für diesen als Diskriminierung anzusehenden Umstand kritisch aufgespürt und schließlich auch mit den Forderungen der UN-Menschenrechtskonvention für Behinderte in Verbindung gesetzt.

Literatur:

Becker, Maria (2023). Psychotherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung. Chancen und Schwierigkeiten der psychoanalytischen Behandlung. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Oberegelsbacher, Dorothea (2022). M. kann nicht reden. In: Rieken, B., & Gehringer, M. (Hrsg.). Macht und Ohnmacht aus individualpsychologischer Sicht. Psychodynamische und gesellschaftliche Zugänge. Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur, Bd. 37 (S. 75 – 90). Münster, New York: Waxmann.

Oberegelsbacher, Dorothea (2020). Psychotherapie bei Menschen mit besonderen Bedürfnissen. In A. Pritz, J. Fiegl, H. Laubreuter & B. Rieken (Hrsg.), Universitäre Psychotherapieausbildung am Beispiel der Sigmund Freud Privatuniversität (S. 467- 478).  Lengerich: Pabst Science Publishers.

Oberegelsbacher, Dorothea & Zauner, Stefanie (2011).„Die Blume gefällt mir“. Falldarstellung einer individualpsychologischen Therapie mit einer geistig behinderten Frau. In: B. Rieken (Hrsg.), Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie. Bd. 1 Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur (S. 281-294). Münster, New York, München, Berlin: Waxmann Verlag.

Oberegelsbacher, Dorothea (2011). Überlegungen zur Theorie und Praxis der individualpsychologischen Behindertenpsychotherapie. In: B. Rieken (Hrsg.), Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie. Bd. 1 Psychotherapiewissenschaft in Forschung, Profession und Kultur (S. 295-312). Münster, New York, München, Berlin: Waxmann Verlag, 2011

Oberegelsbacher, Dorothea (2011). Vom Umgehen mit dem Unerträglichen in der Psychotherapie – Musiktherapeutische Aneignung und Gestaltung von Zeit. In: Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft e.V. (DMtG) (Hrsg.), Musiktherapie und emotionale Differenzierung. Jahrbuch Musiktherapie, 2009, Band 5 (S. 13-33) Berlin: DMtG Wiesbaden: Reichert Verlag

Schwaiblmaier, Frauke (2023).(Hrsg.). Musiktherapie als Psychotherapie für Menschenn mit Intelligenzminderung oder fehlender Sprache. 30. Musiktheapie-Tagung am Freien Musikzentrum München e.V. Wiesbaden: Reichert- Verlag

Angaben zur Person:

Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Dorothea Oberegelsbacher ist individualpsychologische Psychotherapeutin, Musiktherapeutin u. Psychologin in Wien. Publiziert zu Psychotherapie bei eingeschränkter Verbalität, Intelligenzminderung, psychosomatischen Störungen. Lehrt an der SFU „Rehabilitation, Sonder- und Heilpädagogik“, ist Leiterin des „Fachspezifikum IP an der Sigmund Freud-Privatuniversität Wien“ und ebendort Ausbildnerin. Lehrt langjährig in der Studienrichtung Musiktherapie an der Universität für Musik u. darstellende Kunst Wien. Ist Mitbegründerin des Wiener Instituts für Musiktherapie, Mitherausgeberin der „Zeitschrift für freie psychoanalytische Forschung und Individualpsychologie“, ist Autorin bzw. Herausgeberin vieler Publikationen (Ernst Reinhardt, Springer, Psychosozial, Waxmann, Praesens, FrancoAngeli, Vandenhoeck & Ruprecht).  d.oberegelsbacher@sfu.ac.at; oberegelsbacher@mdw.ac.at