Tagungsbericht

Tagung: „Die“ Muslim*innen in Europa. Fakten, Analysen, Ausblicke

Tagung der Interdisziplinären Forschungsstelle Islam und Muslim*innen in Europa

Zeit: 30. November 2019, 9.00 – 17.00 Uhr
Ort: Sigmund Freud PrivatUniversität Wien, 6. Stock, Freudplatz 3, 1020 Wien

Am 30.11.2019 fand die erste Tagung der neugegründeten “Interdisziplinären Forschungsstelle Islam und Muslim*innen in Europa” an der Sigmund Freud PrivatUniversität (SFU) in Wien statt. Mehr als 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus In- und Ausland nahmen an dem intensiven Programm teil. Nach der Eröffnung durch Prof. Dr. Alfred Pritz, Rektor der SFU Wien, und seiner Botschaft, Raum für interdisziplinären Austausch über aktuelle Diskurse hierzu zu schaffen, folgte die Begrüßung durch Mag. Ümit Vural, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Das Programm setzte sich aus fünf Plenarvorträgen am Vormittag sowie einer Podiumsdiskussion am Nachmittag zusammen.

Bevor in weiterer Folge Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, England, Bosnien und Herzegowina sowie Österreich aktuelle Islamdiskurse unter der Leitfrage, wer denn “die” beforschten Muslim*innen in den jeweiligen Länderkontexten seien, vorstellten, lenkte Mag.a Amena Shakir, Leiterin der Forschungsstelle, den Blick vorerst auf die Frage, was denn “der” Islam sei. In ihrer Keynote leuchtete sie das Spannungsfeld von göttlichem Text und menschlicher Erkenntnis aus, indem unterschiedliche dialektische Zusammenhänge eruiert und erörtert wurden. Im Zentrum stand die Betrachtung und Berücksichtigung der menschlichen Geistesgeschichte, ihrer Einsichten und Erkenntnisse und deren Integration in den religiösen Erkenntnisprozess, der sich von einem Wunderglauben hin zu einer vernunftgeleiteten religiösen Lesung entfaltete.

Prof.in Dr.in Riem Spielhaus, Professorin für Islamwissenschaft an der Georg-August- Universität Göttingen, präsentierte Zugänge, Fragestellungen und Ergebnisse des Islamdiskurses in Deutschland und reflektierte dabei die wissenschaftlichen Konjunkturen bei der Frage, wer eigentlich als Muslim*in beforscht wird. Dabei zeigt sie vor allem die Verschränkung der Islamdebatte mit dem polarisiert geführten Migrationsdiskurs auf.

Prof.in Dr.in Sophie Gilliat-Ray, Professorin für Religionswissenschaft und Gründungsdirektorin des Islam-UK-Zentrums an der Cardiff University, beschrieb in ihrem Plenarvortrag die institutionelle, disziplinarische und professionelle Entwicklung des Forschungsfeldes „Islam und Muslim*innen in Großbritannien“  im Zeitraum von 1970 bis 2019. Zusätzlich zu aktuellen Herausforderungen und Forschungsprioritäten präsentierte sie den Beitrag, den britische muslimische Sozialwissenschaftler zu Diskursen und Theorien auf diesem Gebiet leisten.

Prof. Dr. Ahmet Alibašić, Associate Professor an der Fakultät für Islamische Theologie der Universität Sarajevo, stellt die Kernthemen der Forschung zu  Islam und Muslim*innen in Bosnien und Herzegowina seit 1992 dar: Fokus lag hier vor allem in der Begegnung bosnischer Muslim*innen mit der (Post-) Moderne in einem sprachlich, religiös und kulturell heterogenen Kontext sowie der bosnisch-islamischen Tradition und ihrer Relevanz für andere europäische Muslim*innen.

Dr.in Ursula Fatima Kowanda-Yassin, die an der Interdisziplinären Forschungsstelle Islam und Mus-lim*innen in Europa (IFIME) zu muslimischen Lebenswelten sowie zu islamischer Umweltethik und Öko-Aktivismus forscht, schloss den Ländervergleich mit Daten und Fakten aus der Islamforschung in Österreich ab und konstatierte wiederholt, dass Muslim*innen in der Forschung fremdverortet und essentailisiert wurden. Sie warf dabei einen kritischen Blick auf Forschungsmethoden und Publikationen seit 1995 und präsentiert am Ende Gütekriterien für eine empiriegeleitete und praxisnahe Islamforschung.

Nachdem Islamdiskurs(e) in verschiedenen nationalen und internationalen Kontexten verglichen wurden, wurde am Nachmittag im Panel die Frage diskutiert, wie Islamforschung neu gedacht werden kann, um mannigfaltige muslimische Lebenswelten in Europa zu beschreiben und zu beforschen. Am Podium saßen Univ.-Prof.in Dr. in Brigitte Sindelar, Vizerektorin Forschung an der Sigmund Freud PrivatUniversität, Dr.in Astrid Mattes von der Österreichische Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. Farid Hafez von der Universität Salzburg und Mag.a Elif Medeni, Leiterin des Institut Islamische Religion an der Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems.

In der Diskussion wurde wiederholt eingefordert, Begriffe klarer zu definieren und bei gesellschaftspolitisch relevanten Fragestellungen Muslim*innen nicht separat, sondern vergleichend und intersektional zu beforschen. Betont wurden ebenso die Rolle der Interdisziplinarität und die Rolle von Forschenden im allgemeinen und von muslimischen Forschenden im Speziellen, da diese zwischen Außen- und Binnenperspektiven vermitteln können. Nur so kann die Heterogenität muslimischer Gemeinden in Österreich auch in der Islamforschung abgebildet werden. In der Diskussion mit dem Publikum wurde festgehalten, dass die Beforschung von Muslim*innen in Europa von einer rein deskriptiven Forschung hin zum Transfer in die Praxis orientiert sein soll. Damit dies gelinge, müsse an einer inkludierenden Gesprächskultur gearbeitet, weiters die Reflexivität der Forschenden und ihrer Forschung stets angeregt und ein Gleichgewicht zwischen quantitativen und qualitativen Forschungsdesigns, im Sinne des Mix-Methods-Ansatzes, hergestellt werden.

Die erste Tagung der Interdisziplinären Forschungsstelle Islam und Muslim*innen in Österreich legte den Grundstein für vielfache Kooperationen im Forschungsjahr 2020.

 

Interdisziplinäre Forschungsstelle
Islam und Muslim*innen in Europa (IFIME)
E-Mail: ifime@sfu.ac.at
Webseite: https://sfu.ac.at/ifime

Downloads:
Program-Tagung Musliminnen in Europa_SFU_IFIME (pdf)
Bilder_Graphic_Recording_Tagung_ SFU_Musliminnen (pdf)

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